Mann müsste!
Du armes Ding, so lieblich und bescheiden.
Dort in der Ecke stehst du still und hold,
Versunken und gefasst in deinem Leiden
Als hättest du noch nie etwas gewollt.
Selbst du brauchst was zum Überleben,
Ein bisschen nur, vermessen ist das nicht.
Man könnte dir ganz einfach Wasser geben,
Wenn man dran dächte. Doch das tu ich nicht.
Der Tod wird kommen. Und er wird es schaffen,
Dich abzuholen lang vor deiner Zeit.
Man müsste echt was tun, statt nur zu gaffen!
Man müsste!
Doch schaff ich leider nicht, mich aufzuraffen.
Mein armes kleines Zimmerpflänzchen,
Tut mir wirklich Leid!
Das Chaos
Ich habe einen üblen Gast,
Er wohnt bei mir zu Haus –
Schon viel zu lang, ich bitt ihn oft,
Doch zieht er nicht mehr aus.
Er ist ja eigentlich ganz nett,
Humorvoll, kreativ,
Doch lässt man ihn nur kurz allein,
Läuft alles krumm und schief.
Ich bin das Chaos, spricht der Gast.
Mein Name ist mein Ziel:
Du räumst was ein, ich räum es aus
Als immerwährn’des Spiel.
Jaja, genau, das kenn ich schon:
Was immer man probiert –
Im Haushalt, Garten, überall –,
Wird schnellstens revidiert.
Das Gras gemäht, das Bett gemacht,
Gewaschen und poliert –
Nach kurzer Zeit sieht’s wieder aus,
Als wär hier nichts passiert.
Ach, wär die Ordnung nur mein Gast!
Das Chaos müsste gehen.
Doch hab ich diese scheue Ding
Schon lang nicht mehr gesehen.
Das Chaos lacht: Die Ordnung währt
Doch höchstens kurze Zeit.
Ich aber bin ein bessrer Gast –
Ich bleib in Ewigkeit!
Ich seufze, greif nach einem Buch
Und schieb es ins Regal.
Das Chaos grinst mich an uns sagt:
Versuch es ruhig einmal!
Einst war ich Herr in meinem Haus,
Jetzt herrscht das Chaos darin.
Soll ich es wohl verjagen?
Doch was würde es dann sagen?
Und wo soll es dann nur hin?
Das traurige Känguru
Das Känguru sprang trist dahin
Und suchte seinen Lebenssinn.
Es suchte rastlos hier und da,
Im Beutel und in Afrika,
Im Schrank, in Frankreich und zum Schluss
Im Garten und am Elbefluss.
Doch weder fand es dort noch hier
Den Sinn. Drum griff es zum Papier
Und schrieb an einen klugen Mann
’nen Brief mit dieser Frage dann:
Wo find ich meinen Lebenssinn,
Damit ich nicht mehr traurig bin?
Der kluge Mann schrieb gleich zurück:
Sie finden Lebenssinn und Glück,
Indem Sie, hochverehrtes Wesen …
Der Rest war leider nicht zu lesen.
Zwischenfall im Hühnerstall
O welch Skandal, o welch Malheur,
Der Hahn war heute beim Friseur!
O welch Malheur, o welch Skandal!
Da kommt der Spinner – schaut einmal:
Den Kamm hat man ihm abrasiert,
Die Federn lockig onduliert,
Der Schwanz ist leuchtend pink getönt
Und senkrecht in die Luft gefönt.
Auch schwebt nun durch die Stallungsluft
Ein After-Shave, Typ Veilchenduft,
Kurzum: Man glaubt, der Gockel sei
Ein ausgeflippter Papagei.
So schreitet er durch seine Hennen,
Die ihn fast nicht mehr erkennen.
Sie wenden sich mit Grausen ab,
Und selbst dem Fuchs, dem Hühnergrab,
Verschlägt es glatt den Appetit,
Als er den Neonbroiler sieht.
Getreulich glänzt das Abendrot.
Verlassen steht der Hahn im Kot
Und hadert mit dem Lauf der Welt.
Er hat sich’s anders vorgestellt:
Er ist für freie Bodenhaltung,
Für Individualentfaltung,
Ist fortschrittlich, ist liberal …
Den Hennen ist das sch… ganz egal.
Sie woll’n den Macho und sonst keinen.
Der arme Hahn muß bitter weinen.
Schon steht der Modische am Gleise
Und kräht ein letztes Mal ganz leise.
Als nächster Eilzug naht alsbald
Der Eurocity Wienerwald.
Seltsam, seltsam
Seltsam, seltsam!
Einsam plus einsam
Gleich zweisam.
Zweisam plus zweisam
Mal zwei
Gleich achtsam.
Sex ist nicht sittsam
Und eins, zwei, Freiburg
Liegt an der Dreisam.
Ein Fest im Nest
So ein Radau!
Der Schluckspecht gibt heute ein rauschendes Fest
Mit der Schnapsdrossel, seiner versoffenen Frau,
Auf der Eiche am Teiche im vierzehnten Nest.
Alle sind da:
An der Cocktailbar stehen
Die Rabenmutter, der Fernseh-Star,
Der Rohrspatz, der komische Kauz – ja sogar
Der verruf’ne Herr Schmutzfink ist hier zu sehen,
Frau Dreckspatz im Arme. – Ach, guck mal, na drum!
Die Spinatwachtel freut sich und tratscht es herum.
Die Fledermaus hängt nur herum, wie üblich,
Der Unglücksrabe rutscht aus, wie betrüblich,
Doch hat das Rotkreuzkehlchen Medikamente.
Das blinde Huhn trinkt auch einen Korn.
Der Hahn im Korb und die Zeitungsente
Verstehn sich und drehn sich im Tanz weiter vorn.
Dem Galgenvogel stibitzt unterdessen
Die Elster die Silberzwiebeln vom Essen,
Dann klaut sie das Kleingeld dem Pleitegeier
Und mopst der Lerche die Wachteleier –
Oder waren’s die Eier der Nachtigall?
Ein Flattern und Fliegen herrscht allüberall,
Ein Klatschen und Tratschen,
Ein Quatschen und Ratschen,
Ein Hüpfen und Hopfen,
Ein Spachteln und Stopfen,
Ein Plappern und Piepsen,
Ein Fisteln und Fiepsen,
Es piepst und pupst nur so durch den Salon,
Bei der heißesten Pieps-Show
Der ganzen Saison.
Die Oboe
Als Gott die Schmerzen schuf, das Leid,
Den Kummer und die Einsamkeit,
Da schuf er gleichfalls nebenbei,
Fagott, Oboe und Schalmei.
Mit all den Dingen hatte nun
Der Mensch zunächst nicht viel zu tun,
Bis dass er in den Apfel biss
Und Gott ihn aus der Bude schmiss.
Und das warf Gott ihm hinterher:
Den Tod und den Geschlechtsverkehr,
Die Pest, die Wollust und die Laus –
Auch die Oboe schmiss er raus.
Es nahm das Ding der Mensch und fluchte,
Weil er das Mundstück dazu suchte.
Doch Gott blieb hart und er beließ es
Im Besenschrank des Paradieses.
Das ist, warum der Mensch am Ende
Dies paradiesisch’ Instrumente,
So sehr er sich auch müht und plagt,
Nie ganz beherrscht und ständig klagt:
Das Instrument hat Gott erdacht,
Das Mundstück hat der Mensch gemacht.
Was ich mag
Die Knisterhülle einer Schokolade
Mit Fingernägeln glattzustreichen,
Das Rinnen feinen Sands
Auf meine Füße.
Wenn es nach Gewitter riecht,
Dann mag ich das
Wie den Geschmack des ersten Buchenblatts,
Das ich im Frühling finde.
Ich mag auch sehr
Die allerersten Morgenluftsekunden,
Das Gehen über unberührten Schnee
Im Schein von gelblichen Laternen
Sowie vom warmen Sommerregen
Ganz und gar durchnässt zu sein.